Union-Europapokalspiel findet nicht statt
Heute vor 50 Jahren:
Mit dem Pokalsieg gegen den FC Carl Zeiss Jena am 09.06.1968 qualifizierte sich der 1. FC Union Berlin zum ersten Mal für ein Europapokalspiel.
Als Gegner der Eisernen für die erste Runde wurde im Genfer Hotel Intercontinental im Juli 1968 der jugoslawische Pokalfinalisten FK Bor ausgelost. Dabei sollte zunächst im Stadion An der Alten Försterei am heutigen Tag vor 50 Jahren (18.09.1968) das Hin- und am 02.10.1968 das Rückspiel in der Bergarbeiter-Kleinstadt abgehalten werden.
Die Mannschaft von FK Bor war im nationalen Finalspiel dem Meister Roter Stern Belgrad mit 0:7 Treffern unterlegen gewesen, dieser trat im Championat der Landesmeister an. Die Borer hatten in der Saison zuvor den Aufstieg in die erste Liga erkämpft.
Zur Austragung der Partien sollte es allerdings nie kommen:
Politische Ereignisse in der Tschechoslowakei beeinflussten den Sportbetrieb, nachdem Militäreinheiten der Sowjetunion mit der Unterstützung einiger ihrer Verbündeten am 21.08.1968 die Hauptstadt Prag besetzt hatten und in dem sozialistischen Nachbarstaat die Reformbestrebungen gewaltsam beendeten.
Die Vorgänge lösten vor allem in West-Europa eine Protestwelle aus, die sich auch auf die Sportbeziehungen auswirkte. So wurde vom Internationalen Handball-Verband die Weltmeisterschaft der Frauen, die in der Sowjetunion zum Austrag kommen sollte, ebenso abgesagt wie alle Europapokalspiele. Schottland verweigerte der DDR ein bereits vereinbartes Länderspiel, ein internationales Jugend-Leichtathletikmeeting in Leipzig wurde von zahlreichen Staaten boykottiert.
Auch der europäische Fußballverband sah sich mit dem Protest konfrontiert. So tagte am 30.08.1968 dessen Dringlichkeitsausschuss, der die Probleme erörterte und feststellte, dass es aufgrund jeweils nationaler Entscheidungen von Sport- und Fußballverbänden zahlreichen Vereinen nicht gestattet sei, gegen Klubs der fünf Ostblock-Staaten zu spielen. Darüber hinaus gab es Bedenken, ob die Sicherheit der entsprechenden Spiele gewährleistet werden könne.
Aus den, dem 1. FC Union Berlin exklusiv vorliegenden Protokollen der UEFA geht die Einschätzung der vier Ausschussmitglieder hervor, dass „aus Stellungnahmen der Mehrheit der befragten nationalen Verbände deutlich wurde, dass mit Demonstrationen und Ausschreitungen zu rechnen wäre“. So beschloss das Gremium einstimmig, das bewährte Verfahren der sogenannten teilweise gelenkten Auslosung aus triftigen Gründen anzuwenden, also die „seit 1962 vom Organisationskomitee in ähnlichen Fällen angewandte Vorgehensweise mit ausdrücklicher Billigung des Exekutivkomitees zu befolgen“. Diese Sonderregelungen waren angewandt worden, um beispielsweise Begegnungen von Klubs verfeindeter Staaten wie der Türkei und Griechenland, aber auch vor dem Hintergrund anderer politischer Konflikte wie zwischen skandinavischen Ländern und Griechenland zu umgehen.
Die Sitzungsteilnehmer nahmen diese Auslosung mit getrennten Ost- und Westgruppen für die Sechszehntelfinales des Pokalsieger- und des Meister-Wettbewerbes sofort vor. Unions Kontrahent sollte nun Dynamo Moskau sein. Neben einigen Ostblock-Sportverbänden bewertete auch der DDR-Fußballverband die Neuauslosung als politische, „diskriminierende Entscheidung“ und beharrte auf den ursprünglichen Ansetzungen. Einen Anlass für politisch motivierte Willkür der UEFA benannte die DDR-Presse nicht. Sie behauptete ein nicht-satzungsgemäßes Vorgehen und suggerierte, einige westeuropäische Klubs hätten auf diesem Weg erreicht, gegen vermeintlich schwächere Gegner antreten zu können.
Nachdem die fünf Ostblock-Verbände der Neuauslosung widersprochen und gedroht hatten, die Wettbewerbe zu boykottieren, setzte sich am 09.09.1968 das UEFA-Exekutivkomitee prüfend mit dem Problem auseinander. Mit sieben gegen zwei Stimmen bei einer Enthaltung bestätigten die anwesenden Mitglieder das vom Dringlichkeitsausschuss angewandte Vorgehen und dessen Begründung. Die Sportfunktionäre verdeutlichten dabei, dass „keinerlei Diskriminierung seitens der UEFA festgestellt werden kann“ und „dass besondere Umstände mitunter spezielle Regelungen bei der Festsetzung der verschiedenen Runden erfordern und rechtfertigen, um so den ordnungsgemäßen Ablauf der Spiele selbst zu gewährleisten“.
Die Fußballverbände der Sowjetunion, Polens, Ungarns, Bulgariens und der DDR zogen daraufhin ihre Vertreter aus den Wettbewerben zurück. Die DDR-Berichterstattung unterließ es auch nach diesem Beschluss, auf die tatsächlichen politischen Hintergründe wie auch auf die Inhalte der UEFA-Komitee-Sitzungen einzugehen. Stattdessen veröffentlichten die Zeitungen in großer Anzahl bestellt anmutende Erklärungen von Einzelpersonen und Sportvereinen, die Zustimmung zum Ostblock-Boykott vermitteln. Für den 1. FC Union Berlin hieß es in diesem in der Klubzeitschrift veröffentlichten Text, dass sich die Spieler „voll und ganz hinter den Beschluß des Präsidiums des Deutschen Fußballverbandes der DDR mit allen sich daraus ergebenden Konsequenzen“ stellten.
Während die unmittelbaren Beteiligungen Bulgariens, Polens und Ungarns an der von der Sowjetunion geführten Invasion in der Tschechoslowakei unstrittig sind, scheint der Umfang der Teilnahme der DDR auch heute nicht eindeutig geklärt. In den Tagen nach dem Einmarsch kamen in der Tschechoslowakei nach heutigen Veröffentlichungen der Bundeszentrale für politische Bildung etwa 150 Menschen bei der Niederschlagung der Proteste ums Leben, Hunderte wurden verletzt – Tschechen und Slowaken wie auch Invasoren.