Hallo und Eisern!

Jahresabschlussinterview mit Präsident Dirk Zingler

Do, 14. Dezember 2017
Jahresabschlussinterview mit Präsident Dirk Zingler

So langsam neigt sich das Jahr 2017 seinem Ende entgegen. Einer guten Tradition folgend hat Christian Arbeit, Geschäftsführer Kommunikation der Eisernen zum Jahresende mit Dirk Zingler, dem Präsidenten des 1. FC Union Berlin, ein ausführliches Gespräch geführt.

Im Vorfeld wurde dazu aufgerufen, Fragen an den Verein zu schicken und viele Menschen sind dem nachgekommen. Nachfolgend ein Auszug aus dem Gespräch. Das komplette Interview gibt es frei zugänglich auf AFTV zusehen.

Ich glaube, nicht wenige treibt um, wie es dir eigentlich im Moment geht. Brauchst du Beruhigungsmittel, angesichts der sportlichen Situation unserer Mannschaft, oder vielleicht auch aufgrund der allgemeinen Situation?

Nur wegen der sportlichen Situation nicht, weil wir als langjährige Unioner sowohl gute als auch schlechte Phasen schon öfter durchlaufen haben. Die allgemeine Situation, die herrschende Verunsicherung, die auch von Vielen mit Unverständnis aufgenommenen Entscheidungen der letzten Woche, das beschäftigt mich persönlich natürlich schon. Aber es ist nicht so, dass ich Beruhigungspillen brauche.

Du hast in den letzten beiden Mitgliederversammlungen über Strukturen im Verein gesprochen, den e.V. an sich, verschiedene Gesellschaften des Vereins, auch über Führungsstrukturen. Es gibt Geschäftsführer und seit Sommer 2017 ein erweitertes Präsidium. Vielleicht ein paar Worte dazu, wie und warum diese Entscheidungen zustande gekommen sind?

Je breiter die Schultern sind, auf die wir unsere Aufgaben und unsere Entscheidungswege verteilen, desto unabhängiger und stabiler ist der Verein. Wir haben die neue Struktur erstmalig vor zwei Jahren vorgestellt und letztmalig in der Mitgliederversammlung vor drei Wochen, weil die Anzahl der zu treffenden Entscheidungen zunimmt. Weil es sich um total unterschiedliche Themengebiete handelt – natürlich im Wesentlichen um Sport, das ist das Wichtigste. Aber auch in vielen wirtschaftlichen Themen, wie der Vermarktung des Stadions, Catering, Merchandising war es uns wichtig, dass wir Fachleute einsetzen. Die Erweiterung des Präsidiums im Sommer folgt dem.

Es gab Anfang letzter Woche die Entscheidung, einen Wechsel auf der Cheftrainerposition vorzunehmen. Für den Verein hat dazu im Wesentlichen Lutz Munack, Geschäftsführer Sport und Mitglied des Präsidiums kommuniziert. Viele fragen sich, ob er diese Entscheidung allein getroffen hat oder ob du daran beteiligt gewesen bist.

Natürlich war ich daran beteiligt. Wie im Übrigen alle Kollegen im Präsidium. Laut Satzung erfolgt die Kommunikation des Vereins nach außen durch das Präsidium. Seit 01.07.2017 ist Lutz Munack Präsidiumsmitglied, deshalb ist es nur logisch, dass er ab diesem Zeitpunkt sportliche Themen aus dem Präsidium heraus kommuniziert. Und wenn jemand mehr Platz bekommt, muss sich ein anderer, in diesem Fall ich,  zurückziehen. Dirk Thieme spricht über Infrastruktur, Lutz Munack spricht über Sport. Und ich spreche grundsätzlich zu politischen und strategischen Themen. Dies zu koordinieren ist meine Verantwortung.

Natürlich bin ich Teil jeder Entscheidung des Präsidiums. Die Entscheidung, einen Wechsel auf der Position des Cheftrainers vorzunehmen, ist im Rahmen einer erweiterten Präsidiumssitzung gefallen. Ich sage ganz bewusst „erweiterte Präsidiumssitzung“, weil es sich um acht Personen handelte. Dies läuft dann so ab, dass der Sport, in Person von Helmut Schulte und Lutz Munack, jeweils eine Einschätzung über die sportliche IST-Situation und die Perspektiven abgegeben haben. Auf Basis dieser Einschätzungen hat das Präsidium, in dieser Sitzung auch unter Teilnahme des Aufsichtsratsvorsitzenden, beraten und ist dann einstimmig der Empfehlung der sportlich Verantwortlichen gefolgt.

Wir führen im Jahr bis zu 18 Präsidiumssitzungen durch. Immer sind der Sport und die wirtschaftlichen Zahlen Schwerpunkte. In jeder Sitzung gibt Lutz Munack eine Analyse der abgelaufenen Zeit und eine Prognose über die sportliche Entwicklung ab. Das heißt, für uns war diese Entscheidung am letzten Montag nichts Akutes oder Plötzliches, sondern sie folgte unserer Analyse der letzten Wochen und Monate. Dass es für die Öffentlichkeit sehr überraschend kam, das verstehe ich.

Es war also nicht die akute Enttäuschung über den Spielverlauf oder die Spielweise in Bochum oder ein Ergebnis der nächtlichen Lektüre des Union-Forums?

Nein, war es nicht. Wir haben in den letzten 13 Jahren, in denen wir zusammenarbeiten, noch nie eine spontane Entscheidung dieser Bedeutung getroffen. Einen Wechsel auf der Cheftrainerposition vorzunehmen, ist eine Entscheidung mit der allerhöchsten Hürde im Verein. Bevor wir das tun, schlafen wir lieber fünfmal drüber, als zweimal. Weil wir wissen, dass der Cheftrainer im Verein eine der wichtigsten Führungspersönlichkeiten ist und unmittelbaren Einfluss auf das hat, was wir machen, nämlich Fußballspielen. Das heißt, diese Entscheidung trifft man nicht über Nacht oder spontan, sondern sie ist das Resultat einer mehrmonatigen Analyse.

Auch die letzte Saison wurde in der vergangenen Sommerpause sehr kritisch ausgewertet. Wir waren natürlich unzufrieden mit dem Ergebnis der Saison, mit dem Auftreten unserer Mannschaft und der gesamten Lizenzspielerabteilung nach dem Nürnberg-Spiel. Das ist ein stetiger Prozess, der bei uns jedoch hinter verschlossenen Türen stattfindet. Wir stellen keine öffentlichen Ultimaten oder zählen den Trainer öffentlich an. Dass bei uns alles intern passiert, führt dann leider dazu, dass Entscheidungen die wir treffen, für Außenstehende sehr überraschend kommen. Es wäre ja aus meiner Sicht eine Katastrophe, wenn wir erst dann handeln würden, wenn es für jeden offensichtlich wird. Wir nehmen für uns in Anspruch, aus unserer Innenansicht heraus Dinge zu erkennen und auf Basis dieser Sichtweise zu entscheiden.

Das ist im öffentlichen Geschäft Profifußball ungewöhnlich und macht es für viele Leute so schwierig, es zu verstehen. Sturmreif geschossene Trainer zu entlassen, ist der übliche Vorgang im Fußball. Kann man denn davon ausgehen, dass die Beteiligten, also auch die sportlich Verantwortlichen immer wussten, wie der Stand der Dinge und die Einschätzung der Lage sind? Fand ein Austausch regelmäßig statt?

Wenn ich ehrlich bin, überrascht mich die Überraschung der Beteiligten. Die Überraschung der Menschen draußen und im Stadion, die überrascht mich nicht. Die zerreißt einen manchmal auch, weil man sehr gerne die Dinge sofort mit allen Details erklären möchte. Es hat regelmäßige interne und kritische Analysen gegeben. Da ging es auch um Selbstreflexion und Kritikfähigkeit, und darum ob Trainer oder Spieler die Dinge so sehen wie der Verein oder die Zuschauer oder ob man glaubt, dass eigentlich alles in Ordnung ist. Wie gesagt: mich überrascht die Überraschung der Betroffenen.

Immer wieder gibt es den Wunsch, mehr Details zu erfahren. Es wird nach wie vor gemunkelt, dass vielleicht andere Gründe als nur sportliche eine Rolle gespielt haben könnten. Vielleicht zu dem Thema Stilfragen: warum gibt es nicht mehr Details für die Öffentlichkeit und gab es ein Vorkommnis, weswegen Jens Keller gehen musste?

Wie auf Mitgliederversammlungen, in Interviews oder auf Fantreffen immer wieder formuliert, sind unser Anspruch und unsere Anforderungen an Führungspersonal öffentlich bekannt. Konzentration auf den Job, Loyalität, Kritikfähigkeit, diese Anforderungen sind öffentlich. Aber wenn wir eine Personalentscheidung treffen, ist diese wie in jedem anderen Unternehmen oder Verein, intern zu behandeln. Es gehört sich einfach nicht, über Mitarbeiter, ihre Stärken, ihre Schwächen oder sonstige Beurteilungen in der Öffentlichkeit zu reden. Das ist manchmal total schwer, weil es Mitarbeiter auch schützt, nachdem man sich von ihnen getrennt hat. Ich will gar nicht von Persönlichkeitsrechten sprechen. Manchmal zerreißt es einen, weil man sich selbst dafür in den Wind stellt und man nichts erklärt. Man braucht das Verständnis der Menschen für diese Entscheidung, sagt aber nicht im Detail warum. Das ist schwierig. Aber diesen Stil haben wir uns vor Jahren auferlegt. Es ist auch eine Frage von Werten innerhalb des Vereins, dass wir grundsätzlich keine schmutzige Wäsche waschen und Personalentscheidungen immer intern behandeln.

Was durchaus für Irritationen gesorgt hat, war das kolportierte Thema der Vertragsverlängerung mit der dann entlassenen Person. Vielleicht ein paar erklärende Hilfestellungen dazu. Wie läuft sowas im Fußball ab? Wie kommt so eine schizophrene Verhaltensweise zu Stande?

Es ist ja keine schizophrene Verhaltensweise. Es gab ein Gespräch mit Jens Keller, das Lutz Munack geführt hat. In dem ging es um einen Zeitplan. Uns war wichtig, bis Weihnachten 2017 Einigkeit erzielt zu haben. Und es ging darum, die Gespräche grundsätzlich zu beginnen. Jens Keller hat seinen Berater beauftragt, die Gespräche zu führen. Mit dem Berater gab es ein Gespräch, ebenfalls zum Zeitplan. Es ist nicht verhandelt worden, sondern wir haben signalisiert, bis Weihnachten Klarheit haben zu wollen. Wir konnten uns vorstellen, mit Jens Keller weiterzumachen, das haben wir ihm auch gesagt. Aber Vertragsverhandlungen sind richtigerweise auch dazu da, Dinge noch einmal zu überprüfen und zu einer Entscheidung kommen zu müssen, ob man weiterarbeiten möchte, oder nicht. Wir haben uns dann, auch auf Grund der anstehenden Vertragsverhandlungen, dazu entschieden, nicht weiterzumachen.

Ist diese Entscheidung zum jetzigen Zeitpunkt gefallen, weil der Aufstieg in dieser Saison aus wirtschaftlichen Gründen ein Muss ist und die Gefahr besteht, dass es danach abwärts geht?

Ich glaube, „Muss“ gibt es im privaten und beruflichen Leben nicht, und im Fußball schon gar nicht. Wir haben seit zwei, drei Jahren klar formuliert, dass wir irgendwann in der Bundesliga spielen wollen. Und dazu stehe ich auch. Das ist Ziel des Vereins.

Ich bin in den Siebzigerjahren zu Union gekommen und auch da war es immer unser Ziel in der höchsten Liga zu spielen und dort bitte auch an dem höchstmöglichen Platz. Union ist ein Profiverein und betreibt Leistungssport. Wenn wir diesen Willen nicht hätten, so gut,  so hochklassig und bestplatziert wie möglich Fußball zu spielen, wäre das der Anfang vom Ende. Dann brauchen wir im März keinen Lizenzantrag abzugeben. Union ist in meiner Historie schon immer ein Leistungssportverein gewesen. Deshalb kommen Spieler, die wir lieben und die wir hierhaben wollen, zu Union. Nur weil wir diesen Charakter haben, weil wir bemüht sind, so gut wie möglich Fußball zu spielen. Und zwar unter vernünftigem Einsatz der uns zur Verfügung stehenden Mittel.

Es ist eine Frage des Respektes gegenüber den Menschen, ob es die bald 20.000 Mitglieder, die 22.000 Spielbesucher, oder die Sponsoren sind, die uns viel Geld anvertrauen, oder die Fernsehanstalten, die bereit sind, unsere Fußballspiele deutschlandweit oder international zu übertragen und uns dafür viel Geld geben. Diesen Menschen und Partnern fühle ich mich verpflichtet. Sie alle haben uns im vergangenen Jahr 38 Mio. EUR gegeben. Es ist verdammt noch mal unsere Pflicht, diese 38 Mio. EUR wirkungsvoll und effektiv einzusetzen. Wenn wir das nicht machen, würden wir nicht ordnungsgemäß mit Vereinsvermögen umgehen.

Sollen wir dulden, dass Leute 2.000 km im Monat auswärts fahren oder sich stundenlang nach Tickets anstellen, und hier wird nicht mit 100% sondern nur mit 98% gearbeitet? Das hat nichts damit zu tun, dass wir aufsteigen müssen. Wenn wir dieses Jahr nicht aufsteigen, werden wir es wahrscheinlich im nächsten Jahr wieder versuchen. Und wir werden es immer versuchen, wenn wir die Möglichkeit dazu haben. Diese Möglichkeit haben wir uns in den letzten Jahren hart erarbeitet. Es wäre ja fahrlässig, die Entwicklung der letzten Jahre zu unterbrechen, in dem wir sagen: „Macht mal weiter, spielt schlechten Fußball, ist nicht so schlimm. Wir schauen uns das an.“ Nur weil möglicherweise Druck entsteht. Ja, verdammte Axt, es entsteht Druck. Es gibt genügend Vereine hinter uns, die an uns vorbei wollen und wir wollen an anderen Vereinen vorbei. So kenne ich Union. Das war früher schon so und ist heute nicht anders. Das ist ein ganz wichtiger Wert des Vereins, mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln das bestmögliche sportliche Ergebnis zu erzielen.

Letzte Frage zu diesem Thema: An welcher Stelle des Ablaufes der Trainerfreistellung siehst du für künftige Fälle Optimierungsbedarf?

Ich glaube, man wird es nie optimal hinbekommen, weil es immer eine besondere Situation ist, die von den handelnden Menschen beeinflusst wird. Jens Keller hat das Gespräch nach 20 Sekunden abgebrochen und recht zeitnah seiner Agentur und einer befreundeten Sportredaktion Bescheid gegeben. Damit war das Thema draußen. Uns war es wichtig, erst den Betroffenen und dann die Lizenzspielermannschaft davon in Kenntnis zu setzen. Man kann immer nur das steuern, was man selbst beeinflussen kann. Trotzdem halte ich es immer noch für richtig, nicht wochenlang über die Medien den Trainer in Frage zu stellen. Man beurteilt über Wochen und Monate eine Entwicklung und kommt dann zu einer Entscheidung. Wir sind der Auffassung, dass eine Entscheidung die intern getroffen wurde, unmittelbar den Betroffenen mitzuteilen ist. Nicht, dass die Entscheidung längst gefallen ist, man aber noch auf eine Niederlage wartet. Ich sage es nochmal: der Cheftrainer ist die wichtigste Führungsperson im Verein. Wir brauchen eine ungebrochene Autorität in der Kabine und wenn Spieler morgens zum Training kommen und in der Zeitung lesen, dass die Vereinsführung über den Trainer spekuliert, erhöht das nicht die Wahrscheinlichkeit, Spiele zu gewinnen. Deshalb haben wir einen vollkommen anderen Stil. Wir besprechen die Themen sehr ausführlich und sehr überlegt intern. Und wenn wir eine Entscheidung getroffen haben, wird sie den Betroffenen mitgeteilt.

Du hast vor Jahren mal ein „Bild“ verwendet, was immer wieder auftaucht: das vom Urlaub in der Bundesliga. Möglicherweise hat dieses Bild dazu geführt, die Sache zu verniedlichen. Bereust du dieses Bild inzwischen? Was hast du eigentlich damit gemeint?

Diese „Bilder“ haben sich im Laufe der Jahre etwas verändert. Ich habe zum Anfang von Urlaub gesprochen, dann davon, dass wir uns perspektivisch und nachhaltig um die TOP 20 bemühen werden und in dieser Saison haben wir erstmalig formuliert, dass wir aufsteigen wollen. Natürlich ist da eine Kurve drin, weil Wahrscheinlichkeiten und zur Verfügung stehende Mittel sich permanent verändern. Vor ein paar Jahren war Bundesligafußball An der Alten Försterei tatsächlich nur vorstellbar, wie eine Urlaubsreise oder ein Lottogewinn. Als ich sagte, dass wir uns bemühen, in die TOP 20 zu kommen, ist das auf Basis der damaligen Möglichkeiten geschehen. In dieser Saison trauen wir uns erstmalig zu sagen, dass wir aufsteigen wollen. Wir als kleiner, historisch gewachsener Verein in Berlin-Köpenick werden nur aufsteigen, wenn wir was Besonderes leisten. Nur das fordere ich, insbesondere von den Führungskräften. Wenn wir das nicht spüren, ist es unsere Pflicht, Entscheidungen zu treffen.

Da gibt es nun die Sorge, was mit dem neuen Cheftrainer passiert, wenn der sportliche Erfolg nicht eintritt. Wie sind die Ansprüche da formuliert?

Ansprüche sind an jeden Cheftrainer gleich formuliert: Versuche, das Bestmögliche aus dem Kader herauszuholen! Nichts Unmögliches. André Hofschneider hat nicht den Auftrag aufzusteigen. Er hat den Auftrag aus dieser Mannschaft ein eingeschworenes Team mit einer klaren Hierarchie zu bilden, das den Willen hat, jedes Spiel zu gewinnen. Und wenn wir alle das Gefühl haben, dass er das erreicht hat und wir dann am Ende nicht aufgestiegen sind, bin ich mit jeder Platzierung zufrieden. Dieses Gefühl und diese Überzeugung müssen wir in der Vereinsführung jedoch haben.

Es gibt ja durchaus auch Personalentscheidungen, die nicht ganz unumstritten sind. Henrik Pedersen beispielsweise war nicht ganz unumstritten als er herkam. Andreas Lorenz war in den letzten Wochen eine durchaus diskutierte Personalie. Gibt es eigentlich eine Abwägung zwischen bestimmten Spezialisierungen oder Qualität auf einer Position und einer Grenze, die wir nicht überschreiten würden, um jemanden hierherzuholen?

Das passiert permanent, weil der Verein von Unionern geführt wird, und damit meine ich insbesondere nicht mich, sondern Dirk Thieme, Jörg Hinze, Oskar Kosche, Lutz Munack, die Geschäftsführung, den Aufsichtsrat. Das sind Menschen, die sehr wohl die unterschiedlichsten Gruppen in so einem Fußballverein sehr ausgewogen in ihren Entscheidungen berücksichtigen. Es gibt die Sicht der Profis, ob Trainer oder Spieler, die Sicht der Sponsoren, der Verbände, der Medien, der Fans, die sehr unterschiedlich sind. Ein ganz bunter Strauß von Interessenlagen. Die Menschen, die den Verein seit Jahren führen, achten sehr genau darauf, dass jede Gruppe hier ihren Platz findet. Nicht die Gruppe, die am meisten zahlt oder am meisten zu sagen hat. Es wird darauf geachtet, dass am Ende ein sehr ausgewogenes Bild entsteht. Deshalb ist es natürlich bei uns Thema. Weil wir wissen, dass die Ablehnung bei unseren Zuschauern und Mitgliedern zu bestimmten Entwicklungen im deutschen Profifußball – nehmen wir ruhig das Thema Leipzig – vorhanden ist. Natürlich müssen wir das berücksichtigen. Es herrschte hohes Unverständnis in Teilen der Lizenzspielerabteilung darüber, dass ein sehr guter Spieler nicht verpflichtet wurde, nur weil er drei Jahre bei RB Leipzig gespielt hat. Auch diese Diskussionen führen wir.

Das führt dann auch zu der Frage, die mir in den letzten Tagen oft gestellt wurde. Opfern wir jetzt alles für den Erfolg? Natürlich nicht! Die Liste der Dinge, auf die wir verzichten ist fast länger als die der Dinge, die wir tun! Wir haben uns entschieden, das Stadion mit der höchsten Stehplatzkapazität zu bauen, weil wir Stehplätze besser finden. Obwohl die Ertragskraft bei Sitzplätzen viel höher ist. Wir verzichten am Spieltag auf viele kommerzielle Werbeeinnahmen oder Aktionen, wir verpflichten ganz bestimmte Spieler nicht. Wir diskutieren in der Vereinsführung mit der Lizenzspielerabteilung permanent und werben für die Werte unseres Vereins! Im Grunde verzichten wir in gewissem Maße auf schnelleren sportlichen Erfolg, weil wir bestimmte Dinge nicht tun. Uns, mit neun Jahren als dienstältestem Zweitligisten zu unterstellen, wir wollen mit aller Macht in die Bundesliga, finde ich sogar ein bisschen aberwitzig.

Ist es eigentlich im letzten Sommer schwergefallen, die reale Möglichkeit, hohe Transfererlöse zu erzielen auszuschlagen?

Am Ende ist es nicht schwergefallen, weil wir in unserem Denken und unserer Handlungsstruktur recht klar sind. Diese Entscheidung hat jedoch bedeutend mehr Sitzungen verlangt, ob im Präsidium oder im Aufsichtsrat. Es waren schwerwiegende Entscheidungen, auf hohe Transfererlöse zu verzichten, weil wir uns entschieden haben, in dieser Saison den Kader zusammenzuhalten. Es waren heiße und leidenschaftliche Diskussionen, an deren Ende der Aufsichtsrat und das Präsidium gemeinsam entschieden haben, den Weg so zu gehen.

Gibt es Überlegungen, wie wir selber aufgestellt in die Saison 2018/2019 gehen, für den Fall, dass wir nicht aufsteigen?

Zu den nicht immer beeinflussbaren Entscheidungen gehören ja auch Entscheidungen von Spielern. Wenn wir aufhören, der Mannschaft und allen anderen Mitarbeitern im Verein die Atmosphäre zu vermitteln, dass wir wirklich wollen und konsequent unsere Möglichkeiten ausschöpfen, würden diese Menschen uns verlassen. Alle ehrgeizigen guten Fußballer, die sehr wohl in der Bundesliga spielen wollen, alle Fachleute, zum Beispiel im Merchandising, würden gehen, weil sie nicht bei einem Verein arbeiten wollen, der keine Ziele hat und sich nicht verbessern möchte. Wenn wir aufhören würden, uns anspruchsvolle Ziele zu setzen, würden wir viel schneller wieder dahin zurückfallen, wo wir vor zehn Jahren waren, als wir brauchten, hierherzukommen. Ich weiß nicht, ob Spieler bereit sind, noch mal ein Jahr zu versuchen, mit uns aufzusteigen oder ob sie darauf bestehen zu wechseln. Ich will das verhindern und den Leistungsträgern bei uns in der Profimannschaft die Perspektive geben, mit uns aufzusteigen. Ihnen sagen können, dass wir als Verein das Ziel Bundesliga haben. Das waren auch die Gesprächsinhalte im Sommer. Deshalb ist Toni noch hier, deshalb ist Stevie noch hier, und Polti ist deshalb zurückgekommen. Alle Spieler müssen spüren, dass wir als Verantwortliche nicht nur reden, sondern danach handeln. Ich habe totales Verständnis dafür, dass die Spieler so hochklassig wie möglich spielen wollen. Das sind Leistungssportler. Unsere Aufgabe im Präsidium und in der sportlichen Leitung ist es, genau diese Leistungsatmosphäre zu schaffen.

Gibt es für die vor uns liegende Transferperiode Veränderungen im Kader? Bedauerst du manchmal die wohlwollende Atmosphäre im Stadion?

Nein, die bedauere ich überhaupt nicht, weil ich Unioner bin. Es ist eine Herausforderung gegenüber den Spielern, die vielleicht zwei, drei Jahre hier sind, diese Atmosphäre nicht als Alibi dienen zu lassen. Dazu braucht es kritische Führungskräfte im Sport, die den Spielern einen Spiegel vorhalten und ihnen sagen, sich nicht in den wohlwollenden Reaktionen nach Spielende zu sonnen, sondern dieses Wohlwollen in eine Verpflichtung gegenüber den Fans umzukehren. Das ist sehr aufwändig.

Ob es in der Winterpause Verstärkung gibt, weiß ich nicht. Ich weiß, dass unsere Scoutingabteilung dort intensiv zusammensitzt. Es wird in jeder Transferperiode, also alle sechs Monate durch die Vereinsführung eine SWOT-Analyse zum Kader, zu den Führungskräften und der allgemeinen Marktentwicklung erstellt. Ich weiß, dass daran gearbeitet wird.

Wenden wir uns dem Nachwuchsleistungszentrum zu. Wir investieren seit Jahren Millionen in die Nachwuchsarbeit. Gibt es konkrete Pläne / Vorstellungen, wann wieder ein selbst ausgebildeter Spieler den Sprung in den Profikader schaffen sollte?

Danach ist unser Handeln ausgerichtet. Viele unserer Jugendspieler aus dem NLZ haben heute schon einen Berater, einige eine PR-Agentur. Der Markt hat sich vollkommen verändert und wenn es den Spielern bei uns möglicherweise nicht schnell genug geht, sind sie weg. Es ist unheimlich viel Geld im Markt und die Agenturen verdienen nur Geld, wenn sich etwas bewegt. Deshalb ist für Einige Bewegung das höchste Ziel und für uns ist es Konstanz. Da prallen dann auch Gegensätze aufeinander. Und da schließt sich der Kreis: wir müssen unseren Spielern – bleiben wir ruhig bei Stevie – eine Perspektive geben, mit uns Bundesliga zu spielen. Ansonsten ist Stevie weg. Und nicht, weil er uns nicht mehr leiden kann oder kein Unioner mehr ist. Nein, weil er Berufsfußballer ist und so hochklassig wie möglich Fußball spielen möchte. Und deshalb hat das Streben in die Bundesliga etwas mit Werten, Nachwuchs und der gesamten Struktur des Vereins zu tun. Wenn wir dieses Ziel aufgeben, werden wir in allen Bereichen des Vereins verlieren.

Hältst du sportlichen Erfolg für planbar?

Sportlichen Erfolg im Sinne des sportlichen Ergebnisses nicht. Aber natürlich kann man Rahmenbedingungen schaffen und natürlich haben wir einen Plan, und zwar einen schrittweisen Plan. Wir haben 2008 nicht ein Stadion für 50 Mio. EUR gebaut, sondern im ersten Schritt saniert, dann die Haupttribüne gebaut und im dritten Schritt wollen wir die drei Stehplatzränge erweitern. Das ist für mich ein sehr moderates Vorgehen, was die Infrastruktur betrifft. Es ist unsere Aufgabe als Vereinsführung, Rahmenbedingungen zu schaffen. Unsere Pflicht als Präsidiumsmitglieder ist es, mit den Mitteln, die wir von Sponsoren, Mitgliedern, Fans, Medienanstalten anvertraut bekommen, so effektiv und sorgsam umzugehen, wie es geht. Wann sie eingesetzt oder aktiviert werden, ist planbar. Das Ergebnis an sich ist nicht planbar, weil der Ball an den Pfosten knallen oder eben ins Tor gehen kann. Das macht Fußball aber auch so interessant und spannend. Du kannst dir wünschen was du willst, am Ende muss das Runde ins Eckige. Es ist unsere Aufgabe, gute Bedingungen zu schaffen, und wir haben uns entschieden, dies Schritt für Schritt zu machen.

Nervt dich diese Unberechenbarkeit hinsichtlich des Ergebnisses eigentlich manchmal im Vergleich zu vielen anderen Bereichen, in denen du sonst so unterwegs bist?

Ich kann es mir ja nicht aussuchen. Fußball ist ein geiler Sport und macht Spaß. Diese Unberechenbarkeit und die Wahrscheinlichkeit eines außerordentlichen Ereignisses machen es ja aus. Ich erinnere mich an Polti gegen St. Pauli in der 88. Minute. Da war so ein außerordentliches Ereignis. Das sind doch die genialsten Dinge überhaupt! Man muss in einer Chancen-Risiken-Betrachtung nur beides gleichberechtigt betrachten. Alles was wir tun, beinhaltet Risiken. Weil Sport nicht berechenbar ist. Deshalb haben wir immer eine Absicherung. Wenn wir dieses Jahr nicht aufsteigen, wird der Verein nicht den Bach runtergehen oder wir unseren Verpflichtungen nicht mehr nachkommen. Am Ende führen Menschen den Verein, die sportlichen Erfolg nicht für sich selbst brauchen, sondern denen es Spaß macht, jeden Tag das Optimum zu erreichen. Und diesen Spaß werde ich ihnen nicht verderben.

Da hast du fast schon übergeleitet zum letzten Themenkomplex, den wir noch haben, nämlich die Stadionerweiterung. Im Frühjahr fand die große Informationsveranstaltung statt, auf der du gemeinsam mit Dirk Thieme die Erweiterungspläne vorgestellt hast. Ist eigentlich dafür der Aufstieg in die Bundesliga notwendig?

Nein, das wäre ja aberwitzig, ein Stadion auszubauen und die Finanzierung nur auf die Bundesliga abzustellen. Wir haben die Haupttribüne gebaut und haben uns nicht zuletzt dadurch inhaltlich, strukturell und sportlich enorm weiterentwickelt. Die letzten fünf Jahre waren sehr erfolgreich. Wir bauen das Stadion unabhängig von der Ligazugehörigkeit. Die finanzierenden Banken wollen selbstverständlich die Gewissheit, ihre eingesetzten Mittel jederzeit zurückzubekommen. Sie sind unsere schärfsten Kritiker. Und ihnen konnten wir nachweisen, dass der Verein und die Stadion AG in der Lage sind, das Stadion zu refinanzieren, egal in welcher Liga.

Aber jede Entscheidung birgt Risiken. Und bei uns sind die Risiken viel höher als in einem normalen wirtschaftlichen Unternehmen, weil dort Risiken berechenbarer sind. Der Entscheider dort bestimmt den Erfolg oder Misserfolg viel direkter. Hier werden Entscheidungen getroffen von Menschen, die nicht selbst Fußball spielen. Wir übertragen die Richtigkeit oder Falschheit unserer Entscheidungen auf die Spieler, von denen wir abhängig sind, ob man rückblickend von einer richtigen oder falschen Entscheidung spricht. Für die handelnden Personen ist dies sehr riskant. Aber es macht uns Spaß. Weil insbesondere Union, der Verein, die Menschen hier uns viel bedeuten. Ich glaube auch, dass keiner von uns das in irgendeinem anderen Verein machen würde. Wir sind ja keine professionellen Fußballmanager, die vier Jahre bei Union arbeiten und dann woanders hin gehen. Jeder von uns tut es nur für Union – das darf man nicht vergessen.

Diese Befürchtung ist ja auch den Vereinen geschuldet, bei denen der sportliche Misserfolg recht eng mit ambitionierten Stadionprojekten verknüpft ist. Bestes Beispiel ist hier wohl Alemannia Aachen. Geht das dann zu Lasten des Spieleretats? Wie ist das miteinander verknüpft?

Diese Befürchtungen und Ängste tragen wir alle in uns. In allen Sitzungen der Gremien unterhalten wir uns über Dinge die scheitern könnten. Wir müssen uns keine Gedanken machen, wenn wir sportlich erfolgreich sind, und wir in der Bundesliga sind. Wir müssen uns darüber Gedanken machen, wie wir auf vernünftige Weise dorthin kommen. Aber was passiert denn, wenn das nicht klappt? Was passiert, wenn wir absteigen in die 3. Liga? Wir beschäftigen uns zu einem großen Teil mit Risikovorsorge. Die Themen, die funktionieren, brauchen nicht permanent angesprochen werden. Die Themen Entwicklung, Vorsorge und Erhalt des Vereins bestimmen das primäre Handeln der Vereinsführung. Deshalb müssen wir alles dafür tun, sportlichen Erfolg zu haben. Weil wir ein Fußballverein sind.

37.000 Plätze – Brauchen wir die eigentlich?

Ja, die brauchen wir. Aber Größe ist nur ein Teil der Entscheidung. Durch Dirk Thieme wurden Untersuchungen angestellt, darüber was möglich ist und wie hoch die Kosten sind. Am Ende ist das Nutzen-Lasten-Verhältnis entscheidend. Natürlich geht es auch um uns selbst. Trauen wir uns zu, das Stadion zu füllen? Wie entwickeln wir uns? Wie entwickelt sich unser Umfeld? All diese Untersuchungen wurden gemacht und darüber haben wir auch immer wieder berichtet. Wir führen diesen Dialog. Natürlich ist eine Entscheidung über 40 Mio. EUR riskanter als eine über 4 Mio. EUR. Letztlich kann eine zu kurze Entscheidung oder eine nicht ergriffene Chance für den Verein schädlicher sein, als weiterhin mutig voranzugehen und sich permanent darüber Gedanken zu machen.

Wir haben zu diesem Thema noch eine wertebezogene Entweder-Oder-Frage: Nochmal zehn Jahre 2. Liga im Stadion An der Alten Försterei oder acht der nächsten zehn Jahre in der Bundesliga und das Stadion heißt „XZY-Arena“. Gibt es diese Gedanken?

Das ist jetzt sehr plakativ formuliert, aber natürlich gibt es diese Gedanken. Ich glaube, dass eine klare Markenstruktur viel erfolgreicher ist, als kurzzeitig 500.000 EUR für einen Stadionnamen zu erhalten. Wir geben es in irgendeinen Etat und dann ist es weg. Aber wir haben bestimmte Werte von uns unwiderruflich kaputt gemacht. Die Alte Försterei – ich habe es schon so oft gesagt – ist das Herzstück. Es ist ja nicht nur der Standort, sondern eben auch der Name. Und für die Verbundenheit der Menschen zu diesem Standort und diesem Namen verzichte ich lieber auf kurzfristige Einnahmen.

Wir kommen zum Schluss: Wie hast du selber früher Union angefeuert? War es schon organisiert, als zu dazugekommen bist?

Früher habe ich da gestanden und rumgemault, wie schlecht die Fußball spielen, da unten! (Lacht) Diese aktiven Szenen gab es ja damals nicht. Eine Aktion eines Spielers oder eine Entscheidung des Schiedsrichters hat für mehr Stimmung gesorgt, als irgendein organisierter, engagierter Block. Für mich ist es am Ende auch eine Diskussion auf erbärmlich hohem Niveau. Wenn sich jemand über die Stimmung An der Alten Försterei aufregt – vielleicht noch jemand, der nichts dazu beiträgt, werde ich so richtig sauer! Wir alle fahren die letzten 10-15 Jahre fast zu jedem Spiel auswärts, und es gibt kaum ein Stadion mit einer besseren Stimmung als An der Alten Försterei. Und wer jetzt anfängt, daran rumzumäkeln, den muss man mal drei Jahre verbannen nach… naja. Ich sage keinen Namen. Das ist eine lächerliche Diskussion.

Weihnachten steht vor der Tür. Wo und mit wem feierst du denn?

Mit der gesamten Familie bei meiner Tochter.

Wir wünschen frohe Feiertage. Danke für deine Zeit und das ausführliche Interview und viel Erfolg.

Den wünsche ich uns allen. Dankeschön.