Dirk Zingler zur Zukunft des Profifußballs
Super League und Champions League-Reform:
Unter dem Titel "Unersättliche Gier: Die Monster müssen sterben" ist am heutigen Sonnabend in der Berliner Zeitung ein Gastbeitrag von Union-Präsident Dirk Zingler zur Zukunft des Profi-Fußballs erschienen.
"Unersättliche Gier: Die Monster müssen sterben"
Wenn ein Gespenst umgeht in Europa, ist das Entsetzen bekanntermaßen groß, so auch in diesen Tagen: Ein paar Tage lang geisterte die gefürchtete Super League der europäischen Fußball-Elite durch die Öffentlichkeit. Helle Aufregung überall, erboste Fans, spontane Proteste und scharfe Worte von allen Seiten. Und nun? Das wohl kaum über Nacht geschmiedete und am vergangenen Sonntag bekannt gewordene Bündnis der zwölf Unverschämtesten unter den Großklubs unseres Kontinents scheint zerfallen zu sein, bevor es so richtig in Fahrt gekommen ist. Na ein Glück, das ist ja gerade nochmal gut gegangen, mag manch einer nun denken. Doch das ist falsch.
Im Getöse um die größtmögliche denkbare Form des Exzesses – einer milliardenschweren Privatliga – ist die Reform der Champions League geräuschlos, ja nahezu unbemerkt beschlossen worden. Mit Zustimmung des deutschen Vertreters im UEFA-Exekutivkomitee, DFB-Vizepräsident Dr. Rainer Koch. War sie vorher noch von vielen Seiten sehr kritisch diskutiert worden, gilt sie nun als vernünftige Lösung. Wie kann das sein?
Das kleinere Übel bleibt: ein Übel. In diesem Fall ist das so offensichtlich, dass man sich fragen muss, ob ernsthaft irgendjemand glaubt, dass das wirklich niemand bemerkt. Und ob dieses Übel wirklich so viel kleiner ist, als die Einführung der Super League, ist höchst fraglich. Die Reform der Champions League unter der Regie des ausrichtenden Kontinentalverbandes UEFA folgt nämlich dem gleichen Prinzip wie die vielleicht vorerst gescheiterte Super League: mehr, mehr, mehr.
Die von der UEFA und den in der European Club Association (ECA) zusammengeschlossenen großen Vereinen des europäischen Fußballs, unverhohlen vorgelebte Unersättlichkeit braucht von allem immer noch mehr: mehr Spiele, mehr Sponsoren und vor allem mehr Geld. Für all das sorgt die neue Champions League natürlich und als kleines Bonbon hebelt sie den sportlichen Wettbewerb teilweise aus, indem sie nicht qualifizierte Vereine mit Bonuspunkten für vergangene Triumphe belohnt und am reich gedeckten Tisch Platz nehmen lässt. Wenn der Fußball schon - unbequemer Weise - noch einen Rest Unberechenbarkeit bereithält, dann darf das keinesfalls zu Lasten der europäischen Prominenz gehen. So die Logik.
Wen wundert es da noch, wenn sich genau diese Prominenz mit dem Platz am Tisch nicht mehr begnügt, sondern, um im Bild zu bleiben, lieber gleich ein eigenes Restaurant aufmacht? Die UEFA und einige nicht eingeladene europäische Spitzenclubs hätten um ein Haar genau das geerntet, was sie selbst gesät haben: Unehrlichkeit, Gier, Maßlosigkeit. Nein, der zu Wochenbeginn schwer empörte UEFA-Generalsekretär Aleksander Čeferin hat den europäischen Fußball nicht für die Fans gerettet. Seine Empörung ist echt, ihr Motiv ist purer Egoismus. Er hatte schlicht nicht erwartet, so plötzlich Gefahr zu laufen, mit den eigenen Waffen geschlagen zu werden.
Ein Wort noch zum Abstimmungsverhalten der deutschen Vertreter in der UEFA. Selten war es so leicht, Haltung zu zeigen. Kein Kompromiss war nötig, schon gar kein fauler, wie diese Champions-League-Reform, um die Super League zu verhindern. Immerhin, kein deutscher Verein ist der Verlockung der Super League erlegen. Das verdient Respekt und Dank, zumal die Vereine in erster Linie ihre eigenen Interessen zu vertreten haben. Der DFB hingegen, der den gesamten deutschen Fußball repräsentieren sollte, hat mit der Zustimmung zur Champions-League-Reform einmal mehr die Chance vertan, dieser Aufgabe gerecht zu werden. Mag sein, dass man sich einer Mehrheitsentscheidung hätte beugen müssen, aber ein einfaches Nein hätte genügt, um Millionen Fußballfans in Deutschland zu zeigen: Wir hören euch zu und wir respektieren euch, denn wir wissen, dass wir ohne euch nichts sind. War das wirklich so schwer? War das zu viel verlangt?
Der hat gut reden, könnte man einwenden, den 1. FC Union Berlin betrifft das doch alles gar nicht. Es ist leicht auf etwas zu verzichten, was einem gar nicht angeboten wird.
Der zweite Satz stimmt vielleicht, der erste nicht. Union spielt seit zwei Jahren in der Fußball-Bundesliga und wendet bisher pro Saison gut 30 Millionen Euro für seine Profimannschaft auf. In den vergangenen beiden Spielzeiten gab es jeweils nur einen Verein bei dem es noch etwas weniger war. Andere Vereine geben das Vier-, Fünf- oder Achtfache aus, der FC Bayern München mehr als das Zehnfache. Er wird in diesem Jahr zum neunten Mal in Folge Deutscher Meister werden. Der finanzielle Rückstand des Zweitplatzierten ist bereits derart hoch, dass ein anderer Titelträger kaum noch vorstellbar ist. Eine Meisterschaft von Borussia Mönchengladbach oder Eintracht Frankfurt scheint bereits utopisch, ein Eingreifen von Mainz 05, Freiburg oder gerne auch Union in den Meisterschaftskampf taugt nicht mal als müder Witz. Wir betreiben die gleiche Sportart, aber wir spielen längst nicht mehr das gleiche Spiel.
Keine Sorge, ich möchte keine Neiddebatte anzetteln. Gute Arbeit und sportlicher Erfolg sollen und müssen sich lohnen. Die Frage ist, wie weit die Schere zwischen den Beteiligten auseinandergehen darf, ohne dass alle Schaden nehmen. Der Fußball unterscheidet sich da nicht von der Gesellschaft, deren Teil er ist. Wenn wir es nicht schaffen für einen angemessenen Ausgleich zu sorgen, laufen wir Gefahr, dass aus Zusammenhalt offene Konfrontation wird. Wie unter einen Brennglas werden im Fußball die Probleme unserer Gesellschaft komprimiert sichtbar. Fußball begeistert, stößt ab, polarisiert und er könnte unserer Gesellschaft einen Weg weisen zu sozialem Ausgleich, etwas mehr Gerechtigkeit und fairem Wettbewerb.
Die Instrumente dazu sind längst bekannt und lassen sich prägnant zusammenfassen: Deckel drauf! Ablösesummen, Spielergehälter, Beraterhonorare – Obergrenzen bei den Ausgaben können uns helfen, der tödlichen Wachstumsspirale zu entkommen. Dem Streben nach immer neuen Einnahmenquellen entziehen wir die Grundlage, in dem wir uns vernünftige Regeln geben. Die juristische Herausforderung sollte uns nicht daran hindern, sie in Angriff zu nehmen. Wir werden Lösungen dafür finden, wenn wir es wollen. Fußball war mal der Sport der sogenannten „kleinen Leute“, ein Volkssport im besten Sinne des Wortes, für jeden verständlich und leicht zugänglich. Organisiert von Vereinen, getragen von Mitgliedern. Viele dieser Vereine sind inzwischen in die Hände privater Eigentümer gelegt worden – meist in der Hoffnung, sich damit einen Vorteil im Rennen um die nächsten Millionen zu verschaffen. Der deutsche Fußball leistet sich eine letzte Hürde, um die weitgehende Privatisierung des Volkssportes Fußball zumindest zu erschweren. Die 50+1-Regel verhindert den unbegrenzten Einfluss von Anteilseignern und ist ein schützenswertes Gut, wenn man Fußball für Menschen denkt und organisiert. Der wachsende Druck, sie abzuschaffen, ist dem Bedarf nach immer mehr und immer neuem Geld geschuldet. Kriegen wir diesen Bedarf in den Griff, indem wir die Finanzströme deckeln, retten wir unseren Fußball.
Florentino Pérez, Präsident von Real Madrid, glaubt ebenfalls den Fußball zu retten, der sich aus seiner Sicht in einer dramatischen Situation befindet. „2024 sind wir alle tot“, sagt Pérez und meint damit ebenjene Vereine, die die Finanzspirale in derart astronomische Höhen gedreht haben, dass sie nun daran zugrunde zu gehen drohen. Lieber Señor Pérez, haben Sie keine Angst: Die hochgezüchteten Fußballmonster, die nur mit 3,5 Milliarden Euro aus einer Super League zu retten sind, müssen sterben, bevor sie den schönsten Sport der Welt vollends verschlingen.
Real Madrid, Barça, Inter, Arsenal und all die anderen großen Clubs – sie werden leben. Sie werden leidenschaftlichen Menschen gehören, die alles für ihren Verein tun würden. Sie werden Fußball spielen für Menschen, die diesen Sport lieben.